Derby ohne Derby

18. April 2020 – seit Wochen kein Fußball, die blau-weißen Entzugserscheinungen nehmen ihren Lauf. Stellen wir uns vor…

Am vergangenen Samstag war es wieder einmal soweit – Derbytime an der Sachsendorfer Straße. Das Wetter herrlich, die Kulisse ansonsten doch eher trist. Der NFV vorbildlich, beraumt bis in die Niederrungen der Fußballkunst Geisterspiele an. Nur Funktionäre und Spieler erlaubt, Wermsdorf deshalb mit einer picke packe vollen Auswechselbank, bei der zurecht die Frage gestellt werden darf, ob hier nach Leistungskriterien oder Fannähe nominiert wurde.

Schöne Randnotiz, aufgrund drohender Insolvenz der blau-weißen Bierzapfanlage durfte mit Sondergenehmigung eine erlesene Auswahl der Sportfreunde vom SVMA dem munteren Treiben beiwohnen und ein paar kühle Suppen verhaften. Die Gladiatoren auf dem Platz bei der Erwärmung hier und da mit sichtlichem Quarantäne-Polster um die Hüften, offensichtlich aus der Isolation heraus auch mit der ein oder anderen Innovation zur bestmöglichen Spielvorbereitung. So kann auf Gästeseite beobachtet werden, dass zum in Schwung bringen des Herz-Kreislaufsystems zunächst eine Einheit Sackhüpfen auf dem Programm steht. Trainingsmethodisch schon recht fraglich, doch die Heimelf legt noch einen drauf. Dank großer Social Media Aktion auf den Geschmack gekommen, packt man bei Blau-Weiß zur Erwärmung die Klopapierrollen aus (Anwohner und örtliche Supermarktbesitzer atmen auf, endlich ein Grund für die Hamsterkäufe gefunden). In kleinen Kreisen wird munter jongliert oder es zumindest versucht. Einsam streicht das Ein-Mann-Schiedsrichtergespann übers Geläuf. Zur Minimierung des Ansteckungsrisikos heute nur ein Unparteiischer zugelassen, was für dieses in der Vergangenheit nie als besonders hitzig oder unfair in Verdacht geratenes Derby der Freundschaft kein Problem zu sein scheint.

Und damit nach allem Vorgeplänkel nun endlich rein ins Geschehen. Platzwahl ohne Handshake, Kreis zum Einschwören mit jeweils 1,5m Abstand und dann rollt sie wieder, die geliebte Murmel. Die Anfangsphase davon gekennzeichnet, dass beide Teams noch mit dem Verbot zur Grätsche klarkommen müssen. Die Befürchtungen der Trainer bestätigen sich, zur Kompensation sieht man hin und wieder einen Akteur im luftleeren Raum und in der sicheren Abstandszone munter mit beiden Beinen in Vollstreckung dem so schmerzlich vermissten Grätschen frönen. Ansonsten keine Feldvorteile zu erkennen, ein zu erwartendes Abtasten. Kein Team bereit ins Risiko zu gehen, zu ungewiss ob Hand-Augenkoordination des eigenen Torwarts bei möglichen Gegenangriffen noch in Takt sind. Die erste Chance der Partie bietet sich erst nach einer guten halben Stunde, Christian Seidel kann offenbar nach wie vor recht flott flitzen, bricht durch und versucht es natürlich mit dem Lupfer, den blau-weiß Schlussmann Schönitz geschickt übers Gehäuse guckt.

Die Hubertusburger davon endlich wachgerüttelt, geben umgehend eine Antwort. Man stellt von Viererkette auf Libero um, keine Ahnung wer da schon wieder etwas neues Kompliziertes probieren wollte und schon läuft es wie geschmiert. Weiter Ball von Denny Beckedahl auf die linke Außen.

Kritiker würden sagen, dass macht er schon seit Jahrzehnten so und diese Truppe ist eine reine Bolzermannschaft, die Wermsdorfer würden sagen, stimmt da habt ihr recht. Nichts desto trotz Sebastian Körner über den Flügel mit viel Wiese vor sich, doch hier ist die Lust zum Sprint in den letzten Wochen vergangen, also wird die Pille als Rakete in den Himmel geschossen.

Das orbitähnliche Geschoss saust in vorbildlicher Flugbahn zurück gen Planet und zielgenau auf die Platte von Stürmer Pascal Weidner. Der ist leider mit Seiten auf Kontostand und praktischer Selfmade Kaumhaar-Corona-Frisur unterwegs, weshalb der Quadratschädel erst so richtig zur Geltung kommt.

Der Neuner setzt trotzdem ohne Furcht zum Kopfball an, nickt den Ball geschickt Richtung eigener Hälfte. Ein Tor würde dem Spiel guttun.

Denkt sich auch Außenbahnbeackerer Sebastian Hanisch, der nach 40 Spielminuten genug vom kollektiven Gestolpere hat. Eine Abseitsentscheidung in Wermsdorfs Hälfte konnte wegen fehlender Linienrichterentscheidung nur unter Einbezug der Kapitäne beider Mannschaften gelöst werden. Der gemeinschaftliche Entschluss – Schiedsrichterball. Meik Eckert kracht das Leder gewohnt sicher weg, Hanisch schaltet schneller als Freund und Feind, antizipiert hervorragend, dass hier kein Verteidiger eingreifen wird, schiebt ganz locker ein und wundert sich warum kein Mitspieler jubeln kommen will. Dies könnte zum einen daran liegen, dass weiter Kontaktverbot besteht, andererseits fällt nun aber auch bei der Nummer 8 der Groschen. Aufregungen in den Wackeren Reihen, so einen einmaligen Skandal gab es ja noch nie, die absolute Höhe, sowas hat hier noch keiner erlebt. Blau-Weiß Leuchtturm Opsch Resi, zur Feier des Tages für ein Comeback zurückgekehrt, zeigt sich gnädig, schießt im Spielaufbau wenige Augenblicke später dem verdutzten Dahlener Stürmer wuchtig ans Hinterteil und legt der Ente im Kasten hinter ihm damit ein verspätetes Ei ins Nest.

Kurz darauf trillert die Pfeife des Schiedsrichters zum Pausentee. Beide Mannschaften hatten sich kurzerhand auf eine Ausdehnung der Unterbrechung auf eine halbe Stunde geeinigt. Es bestand gesteigerter Bedarf zur Erholung. Nicht bei Dominik Weidner, der blau-weiße Außenverteidiger nutzt die willkommene Abwechslung, schlüpft schnell in den Laufschuhe und spult in der Halbzeit noch fix ein paar Trainingskilometer für den morgen anstehenden Marathon.

Die zweite Halbzeit ist schnell zusammengefasst, über weite Phasen Standfußball. Ekstase bei allen Beteiligten, wenn mal eine Ballannahme klappt oder zwei Pässe am Stück ihr Ziel finden. Doch wenige Zeigerumdrehungen vor Ablauf der Spieldauer kündigt sich eine dramatische Schlussphase an. Zunächst schafft es Körner nicht die Speichel bei sich zu behalten, etwas Mundwasser endkleidet unbeabsichtigt nah in Richtung Gegner und so bleibt dem Unparteiischen nichts anderes übrig als den roten Karton zu zücken.

Mannschaftskollege Justus Keller, ob der nun für die letzten Minuten fehlenden gefürchteten Haupe-Einwürfe am Siedepunkt der Nerven, gibt das Rumpelstilzchen und vollbringt in gewohnter Souveränität das Kunststück absolut dämlich vom Platz zu fliegen.

Die Ampelkarte geleitet also auch die Nummer 15 zum Duschen und so geht es mit 9 gegen 11 weiter. Die Hubertusburger werfen alles rein, nach und nach opfern die verbliebenen Kämpfer ihre letzten Sprints auf bis nur noch Mettus Ecki als Flitzer übrigbleibt.

Der 14er setzt alles auf eine Karte, haut den Turbo im Duell mit Dahlens Kapitän Kai Fischer an, doch bleibt zweiter Sieger. Fischer dadurch frei vor Schönitz, bleibt gewohnt eiskalt und stellt auf 2:1, womit er nun offiziell alleine mehr Buden gemacht hat als der gesamte blau-weiße Kader. Während die Wackeren beim Torjubel die Gästekabine abreisen, tut sich was an der Wermsdorfer Seitenlinie. Es ist Zeit für eine neue Sensation an der Sachsendorfer Straße. Trainer Dierk Kupfer hat genug gesehen, es gibt nochmal Eckball für seine Farben und die wird zur Chefsache erklärt.

Schnell schält sich der Coach ins maßgeschneiderte Niki und streift die Pantoffeln über. Konzentriert legt sich der Altmeister das runde Leder zurecht. Wind und Wetter studiert der Kenner vor jedem Spiel, die Ausrichtung auf äußere Parameter werden mit der Routine eines Perfektionisten erledigt. Kurzer Blick, ein vergewisserndes Aufschauen. In Mario Basler Gedächtnismanier wird penibel darauf geachtet den Nippel des Balles nach oben zu drehen, drei Schritte Anlauf und der Rest ist Kunst.

Kupfer malt das Kunstleder genüsslich in den Winkel und stellt die Uhren auf 2:2. Alle fünf im Livestream eisern mitfiebernde Zuschauer können es nicht fassen, der Wahnsinn trägt blau-weiß.
Damit endet eine nicht stattgefundene Begegnung wie sich angefangen hat, ohne Sieger. Auf Seiten des FSV gilt es nun vor allem erstmal Finger weg von der Facebook-Kommentarfunktion. Von diesem turbulenten Spiel brauchen alle Beteiligten sicher erstmal einige Wochen Pause. (JK)